In den frühen Morgenstunden des 26.April 1986 explodiert der 4. Reaktorblock des Atomkraftwerkes von Tschernobyl (Ukrainische SSR).
Ein großer Teil der entstehenden radioaktiven Wolke legt sich über weite Teile der benachbarten weißrussischen Sowjetrepublik und macht auch dort einige Gebiete auf Dauer unbewohnbar. Wenige Tage später, ist auch in Westeuropa eine erhöhte Strahlenbelastung messbar. Wie viele Menschen an den direkten oder indirekten Folgen der radioaktiven Strahlung starben, ist unbekannt! Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahlen in die Tausende gehen.
Erst 1989 beginnt man umfangreiche Hilfsprogramme einzuleiten, inzwischen wurden lediglich größere Landstriche entvölkert und zu Sperrzonen erklärt. Immer mehr Menschen leiden an den Folgen der Strahlung.
1991 gründet sich die Republik “Belarus” als eigenständiger Staat und tritt der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bei. Somit übernimmt Weißrussland auch das “Tschernobylerbe” im eigenen Land. Im selben Jahr wird in Nordhausen die Idee zur Gründung einer Initiative zur Hilfe für die Kinder von Tschernobyl geboren.
Im Sommer 1992 kommen die ersten 20 Ferienkinder aus der Region Gomel nach Nordhausen und werden bei Gasteltern untergebracht. Im Spätherbst startet der erste Hilfstransport nach Weißrussland, dem bis zum Jahre 2004 zwölf weitere Transporte folgen werden. Der Schwerpunkt liegt bei beiden Aktionen seitdem auf unseren “Partnerdörfern” Pokoljubitchi und StarojeSelo. Unsere Aktionspartner vor Ort sind der Kolchos und die Schule in Pokoljubitchi.
Seit dem Sommer 1993 teilt sich der Kinderaufenthalt dann in ein 14-tägiges Ferienlager und zwei weiteren Wochen bei Gasteltern auf. Mit einer einzigen Ausnahme fanden alle Ferienlager bis heute im Schullandheim “Harzrigi” statt.
1997 – Die weißrussische Regierung um Präsident Lukaschenko verschärft die Einfuhrbedingungen für Hilfstransporte, verlangt Wochen zuvor eingereichte Ladelisten. Wir stellen uns darauf ein und machen weiter.
Bis zum Jahre 2005 haben sich die Einfuhrbestimmungen für Hilfsgüter zu einer für uns unüberwindbaren Hürde entwickelt, der Aufwand für die Realisierung der Hilfstransporte ist nicht mehr zu überblicken. Schweren Herzens beschließen wir, die Hilfstransporte in das Land einzustellen und uns auf den Ferienaufenthalt der Kinder zu konzentrieren. Die letzten gesammelten Hilfsgüter rollen in diesem Jahr in ein Kinderheim nach Rumänien.
2010 – Der 18. Erholungsaufenthalt einer weißrussischen Kindergruppe in Nordhausen. Inzwischen ist die Finanzierung des Ferienlagers, insbesondere durch abnehmende Fördermittel staatlicher und gemeinnütziger Stiftungen, immer schwieriger geworden. Daher sind wir um so mehr auf das private Engagement vieler einzelner Sponsoren und Mitstreiter angewiesen. Um Kosten für den Transport zu sparen, schließen wir uns mit dem Erfurter Verein zusammen und holen die Kinder in einem gemeinsamen Bus. Leider verkürzt sich dadurch der Aufenthalt auf drei Wochen.
Im Jahre 2012 können wir auf 20 Jahre Hilfsaktion und 20 Ferienlager zurückblicken. Zu diesem Anlass erscheint eine Jubiläumsbroschüre. In dieser stellen wir einige Organisatoren von Benefizveranstaltungen für unsere Aktion vor. So findet alljährlich ein Volleyballturnier statt, dessen Startgelder uns zur Verfügung gestellt werden. Mehrere Male füllt Claudia Pressacco das Nordhäuser Theater, um mit ihrem Tanz die Besucher in den Orient zu entführen. Die Einnahmen fließen jedes Mal fast komplett in unsere Ferienlagerkasse.
Kritisch wird es im Jahre 2015, als sich im Frühjahr herausstellt, dass die Finanzierung des Ferienlages nicht gesichert ist. In einer Krisensitzung beschließen wir, die Strukturen des Vereins zu überarbeiten. Neben der intensiveren Einbindung der Gasteltern, versuchen wir den Verein auf eine breitere Basis zu stellen und Neumitglieder zu gewinnen. Zudem wird eine Fördermitgliedschaft ins Statut aufgenommen. Wir suchen weitere Partner und finden sie in Organisationen wie der Diakonie und im Medienhaus Heck. Wie gewohnt reisen schließlich auch im Juli 2015 zwanzig Kinder zum 24. Ferienlager in Nordhausen an. Im Herbst dieses Jahres gibt es Veränderungen im Vorstand des Vereins. Für das Ferienlager formiert sich ein Organisationsteam, dass auch die Büroarbeit übernimmt.
Trotzdem schaffen wir es nicht, 2016 ein Ferienlager zu finanzieren und müssen uns im Frühjahr schweren Herzens zu einer Absage entschließen. Nach 24 Jahren ist dies der erste Sommer ohne weißrussische Kinder in Nordhausen. Immerhin können wir die Zeit dazu nutzen, die Strukturen des Vereins zu festigen, unsere Internetseite neu aufzustellen und aktuelle Flyer zu erarbeiten.
Im Sommer 2017 reisen dann wieder 20 Kinder und zwei Betreuer zum 25. Ferienlager im Schullandheim „Harzrigi“ an.
Ende April 2018 besuchen nach mehrjähriger Pause wieder Vereinsmitglieder Pokoljubitchi, um sich über die Situation vor Ort zu informieren. Der Empfang dort ist überwältigend. Viele Kinder, aus verschiedenen Ferienlagerjahrgängen haben sich in der Schule eingefunden, um ihre Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Die Reise nach Nordhausen scheint sich tief in ihre Erinnerung und in ihre Herzen gegraben zu haben. Bereits auf der Heimreise beschließen wir, dass wir versuchen wollen, uns um die Fenster der Schule zu kümmern, die in einem bedauernswerten Zustand sind und weder Hitze noch Kälte abhalten. Das Ferienlager in diesem Sommer wird ein voller Erfolg. Leider gibt es in diesem Jahr aber massive Probleme, ausreichend Gasteltern für die Kinder zu finden.
Nach eingehender Rücksprache mit der Schule in Pokoljubitchi haben wir uns 2019 entschlossen, den Ferienaufenthalt ohne die Gastelternwoche durchzuführen. Als kleinen Ausgleich konnten wir zumindest den Aufenthalt in „Harzrigi“ um 2 Tage verlängern. Es ist schön zu spüren, dass der Ferienaufenthalt der Kinder immer noch von vielen Einrichtungen, Institutionen und Personen im Südharz mitgetragen wird und wir sogar in jedem Jahr neue Einladungen für Besuche mit der Gruppe bekommen.
Im Februar 2020 treffen wir uns wie gewohnt zur Planung des Ferienlagers. Da ahnt noch niemand, dass bereits einen Monat später die Welt auf Grund eines Virus auf dem Kopf steht und sich alle Grenzen schließen. Unsere geplante Reise nach Weißrussland im April muss bereits ausfallen. Eigentlich wollten wir dort die ersten, privat finanzierten Fenster übergeben. Aber es kommt noch schlimmer. Ende April kommen wir zu der Erkenntnis, dass es keinen Sinn macht, das Ferienlager für diesen Sommer weiter zu planen, da niemand die Entwicklung der weltweiten Pandemie absehen kann. Am 26. April 2020 begingen wir den 34. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Weite Teile von Weißrussland und der Ukraine gelten bis heute als hochverstrahlt und werden auf unabsehbare Zeit Sperrgebiete und Todeszonen bleiben! Wir wissen bis jetzt nicht, welche Folgen das Corona-Virus auf der Welt hinterlässt. Trotzdem glauben wir, dass auch die vergangenen Katastrophen dadurch nicht vergessen sein sollten.
Wir hoffen, dass im Sommer 2021 wieder eine weißrussische Kindergruppe den Südharz erobert. Im 28. Ferienlager unseres Vereins!